Wir wünschen allen Freunden der Horber Schienen-Tage ein friedliches und erfolgreiches Jahr 2023
 
FachexkursionEisenbahn in Tunesien
Die ehemalige Militärbahn El Aouinet – Arram
   

Bei der Vorbereitung der Fachexkursion erwähnte die deutsche Reiseleiterin Reste einer Eisenbahnbrücke, die sie nördlich der Straße C107, etwa auf halber Strecke zwischen Gabes und Nouvelle Matmata entdeckt hatte. Einheimische hätten gesagt, daß dort früher eine Bahn fuhr.

Zu dieser Zeit herrschte unter Kennern der tunesischen Eisenbahn Konsens, daß südlich von Gabes nie eine Eisenbahn fuhr. Es mag einige kurze Militärbahnen mit der Spurweite 60 cm, beispielsweise in Häfen oder Kasernen, gegeben haben. Die geplante Verlängerung der Bahn von Gabes nach Medenine und weiter zur libyschen Grenze war ein jahrzehntealtes Projekt, das über einige Baustellen nie hinauskam. Der relativ küstenferne Standort paßte nicht wirklich zu den bekannten Planungen.

Eine umfangreiche Recherche in der Literatur ergab einen isolierten Hinweis. Im World Rail Atlas, Vol. 7, wird in der Tabelle zu Tunesien auf Seite 76 in zwei Zeilen auf eine 1942 eröffnete Militärbahn El Aouinet – Arram hingewiesen. In der Karte 13 des World Rail Atlas, Vol. 7 ist die Linienführung dieser Bahn eingezeichnet.

Sie wurde auf eine vom Kartenwerk OSM gelieferte Umgebungskarte der Küste bei Gabes eingetragen. Die aus der relativ groben Karte erschlossene Trasse verläuft ein Stück weit parallel zur genannten Straße. Damit war ziemlich sicher, daß die Brückenreste zur erwähnten Militärbahn gehörten.

Eine Nachfrage beim Autor des World Rail Atlas brachte einen Hinweis auf eine amerikanische Militärkarte, in der die Bahn meterspurig eingezeichnet ist. Der Ausschnitt links stammt aus der Karte NI32-11 (North Africa, Gabes).

Sie ist Bestandteil der Perry-Castañeda Library Map Collection, Army Map Service Topographic Map Series, die von der Universität von Texas (Austin) im Internet (Public Domain) verfügbar gemacht wird. Die Sammlung unterliegt keinem Copyright, die Universität bittet lediglich um den Hinweis "Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin". Dieser Bitte kommt der Autor gerne nach, die Karte NI 32-11 (5,1 MB) lieferte den Schlüssel bei der Suche nach der vergessenen Bahnstrecke.

Die Faktenlage stellte sich damit wie folgt dar: Etwa Dezember 1942 wurde eine Eisenbahn ausschließlich für den militärischen Gebrauch er­öffnet. In der Nähe von Arram liegt der Ort Mareth, nach dem die Mareth-Linie benannt ist. Sie wurde 1939 von Frankreich gebaut und sollte vor einer italienischen Invasion aus Libyen schützen. Nach der Ka­pi­tulation Frankreichs wurde sie unter deutsch/italienischer Auf­sicht demilitarisiert. Im Herbst 1942 wurde sie reaktiviert und massiv weiter befe­stigt. Sie sollte jetzt die deutschen Truppen gegen die nachdrängenden Verfolger schützen. Die Ei­sen­bahn diente wohl zum ­Trans­port von Baumaterial und Munition. Im Frühjahr 1943 fiel die Mareth-Linie. Wie lange die Bahn betrieben wurde, ist offen.

Aufgrund dieser Kenntnisse wurde für die Fachexkursion ein Ortstermin eingeplant. Am 26. Februar 2013 besuchten die Teilnehmer die Reste der Brücke, die zur ehemaligen Militärbahn El Aouinet – Arram gehörte.

Bei der Anreise hatten die Experten noch diskutiert, wie wahrscheinlich eine meterspurige Militärbahn war. Doch das Bild (oben links) lieferte den eindeutigen Beweis. Die seitlichen erhöhten Betonträger haben einen Abstand von 1,40 m, der Abstand der Betonbalken beträgt 60 cm. Im Widerlager liegen die Schienen einer meterspurigen Bahn damit genau in der Mitte der tragenden Betonkonstruktion. Auf dieser ist im Abstand von einem Meter jeweils der Abdruck einer schmalen Eisenschwelle erkennbar. Über die Pfeiler führte offenbar eine Metallkonstruktion, die als wertvoller Rohstoff die Zeiten nicht überdauert hat.

Das mittlere Bild zeigt ein großes Problem für alle Verkehrswege in Tunesien. Der Bahndamm reichte einmal bis an das Widerlager heran, heute klafft eine breite Lücke. Wenn ein Wadi einmal Wasser führt, dann gibt es starke Erosionen, die kaum vorhandene Pflanzendecke bietet hiergegen keinen Schutz.

In einem Punkt mußten die gesammelten Kenntnisse korrigiert werden, die Brücke ist wohl kaum eine Kriegskonstruktion. Die Ausgestaltung der Pfeiler (reches Bild) und die Qualität des Betons lassen vielmehr auf einen Bau vor dem Krieg schließen.

Am 28. Februar konnten die Exkursionsteilnehmer bei einem kurzer Zwischenstop einen Blick auf die Mareth-Linie werfen. Das Museum war nicht mehr geöffnet, die Außenanlagen konnten besichtigt werden. Die aufgestellte Karte (links) enthielt keinerlei Hinweis auf die Militärbahn.
Nach dem Ende der Exkursion verbrachte der Autor noch einige Tage in Tunesien, um weitere Details zu den tunesischen Eisenbahnen zu sammeln. Ein Besuch des Museums ergab keinerlei Hinweise auf die Militärbahn El Aiounet – Arram, obwohl diese zur Versorgung der Verteidigungslinie gebaut wurde. Die Besichtigung eines Bunkers erhellte den Unterschied zwischen den Betonqualitäten, die beim Bau vor dem Krieg oder 1942 verwendet wurden. Damit konnte ein Bau der Bahnlinie während des Krieges definitiv ausgeschlossen werden.

Der in der Literatur genannte Endpunkt Arram liegt südöstlich von Mareth, etwa in der Mitte der Karte, nahe der Brücke der RN 1 über den Oued (Wadi) Zigzaou. Ein Ortstermin förderte weitere Details zu Tage. Ein Einheimischer erinnerte sich noch an die Bahn und führte zu einem kleinen Weg, der auf dem ehemaligen Bahndamm verlief. Weitere Punkte, an denen Hinweise auf die Bahnlinie gefunden werden konnten, waren der Unterbau der Abzweigung von der Bahnlinie Graiba - Gabes in El Aouinet sowie Reste einer zweiten längeren Brücke gleicher Bauart.

Nach der Rückkehr ergaben ergänzende Recherchen im Internet unter Einbeziehung der gesammelten Fakten noch erhellende Details: Die Militärbahn wurde vor 1939 von der französischen Armee gebaut. Beide Archive, in denen die entsprechenden Unterlagen verwahrt wurden, sind im Verlauf des Krieges vernichtet worden.

Die Recherche für diese Internetseite hat dem Autor Teile der deutschen und Europäischen Geschichte nahegebracht, die ein vertieftes Verständnis der derzeitigen Ereignisse im Mittelmeerraum erlauben. Der Autor freut sich über alle Hinweise zur ehemaligen Militärbahn El Aouinet – Arram.


© Horber Schienen-Tage
Militärkarte: Perry-Castañeda Library Map Collection, Universität von Texas;  Landkarte: © OpenStreetMap-Mitwirkende
Photos, Text und Gestaltung: Rudolf Barth

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