Fachexkursion | 22. Februar – 2. März 2013 |
Die Schiene – Rückgrat der Mobilität | |
Das Motto der 30. HST und die Realität in Nordafrika |
Die Eisenbahn im Maghreb nach oben
In den Maghreb-Ländern Nordafrikas baute die französische Kolonialmacht seit 1860 (Algerien) bzw. 1879 (Tunesien, Protektorat seit 1881) Schienenstrecken, insbesondere um den Export von Bodenschätzen zu ermöglichen. Militärstrategische Gründe spielten ebenfalls eine Rolle. Die durchaus bedeutsamen Netze in Normal- und Meterspur, meist in den dichter besiedelten Küstengebieten, verloren mit dem Aufkommen von Lkw und Omnibus beginnend mit den 1930er Jahren an Bedeutung. Nach der Unabhängigkeit (Tunesien: 1956, Algerien: 1962) reduzierte sich die strategische Aufgabe. Im Personenverkehr bevorzugten die arabischen Fahrgäste die elastischeren Angebote der Linienbusse und Sammeltaxis ("louage"). Mit dem vermehrten Aufkommen von Kraftfahrzeugen rückte die Eisenbahn in vielen Regionen aus dem Gesichtsfeld der Einwohner.
Doch mit schnell wachsender Bevölkerung, die sich vor allem in Millionenstädten konzentriert (Algier heute: ca. 4 Mio Einwohner, Tunis: 1 Mio) ergeben sich neue Aufgaben im Personentransport innerhalb und zwischen den großen Agglomerationen. So planen Algerien und Marokko Schnellbahnstrecken und haben in Algier und Rabat Straßenbahnsysteme in Betrieb genommen. Weitere sind in Bau. Schnelle und oft gut ausgelastete Züge bestehen heute die Konkurrenz mit Bussen und Sammeltaxis erfolgreich, von Streckenstillegungen ist nicht mehr die Rede.
Im Güterverkehr haben sich die Strukturen ebenfalls gewandelt. Im Rohstoffbereich transportieren Leitungen das in der Sahara gewonnene Erdöl und Erdgas sowie künftig den Solar-Strom. Doch brauchen der übrige Bergbau (Phosphat, Eisenerz) ebenso wie der Agrarsektor (Getreide) die Bahn, die zudem von der Containerisierung der internationalen Warenströme profitiert.
Nordafrika, der arabische Raum und Europa nach oben
Es ist bedauerlich, daß sich in den letzten Dekaden die immer wieder angestrebte stärkere Verknüpfung der normalspurigen Netze nicht realisieren ließ. Der legendäre Transmaghreb-Express, der über 2000 Strecken-km Marokko, Algerien und Tunesien verband, ist Streitereien zum Opfer gefallen. Die von der gestürzten libyschen Führung geplante und finanziell unterstützte Verbindung (Alexandria -) Marsa Matruh - Tobruk - Benghazi - Tripolis - Gabes ist über einige Erdarbeiten zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze nicht hinausgekommen. Doch zeigen die Erdölstaaten am Golf (Saudi Arabien, Qatar, VAE) mit ihren erfolgreichen Projekten, daß das Eisenbahnzeitalter in der Arabischen Welt nicht zu Ende ist und daß die Bahn mit neuen Technologien und neuen Aufgaben wieder Schwung erhält. Dorthin orientieren sich die Maghreb-Staaten zunehmend, die mitteleuropäischen Innovationen und Technologien nutzen sie dabei gerne.
In den nächsten Jahren ist eine intensivere Kooperation zwischen der Europäischen Union und Nordafrika zu erwarten. Die von den EU-Südstaaten schon länger geforderte Mittelmeer-Allianz bietet Chancen und Herausforderungen.
Heute gibt es in den drei Maghrebstaaten mit ihren 77 Mio Einwohnern 5605 km Normalspur- und 2777 km Meterspurstrecken. In absoluten Zahlen besitzt Algerien mit 4316 km das größte Netz, Tunesien (2159 km) und Marokko (1907 km) liegen fast gleichauf. Trotz einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit hat heute in jedem Maghreb-Land die Eisenbahn spezifische Aufgaben und Perspektiven.
Für die Horber Schienen-Tage gibt es vielfältige Gründe, die Realitäten des nordafrikanischen Transportsektors allgemein und der Bahnen im Besonderen in Augenschein zu nehmen. Dies soll am Beispiel Tunesien konkretisiert werden.
Die Entwicklung des Schienennetzes in Tunesien nach oben
Bezogen auf die Einwohnerzahl besitzt Tunesien mit Abstand das größte Eisenbahnnetz in Nordafrika. Es gilt mit aktuell 471 km Normalspur und 1688 km Meterspur nach Ägypten als das am besten ausgebaute.
1879/ 80 ging im Norden Tunesiens eine normalspurige Eisenbahn in Betrieb. Heute dient sie dem Verkehr von Tunis in den Westen, zur Hafenstadt Bizerte und über die algerische Grenze hinweg (aktuell nur Güterverkehr). Dieser Streckenabschnitt könnte Teil einer durchgängigen Eisenbahnstrecke am Südufer des Mittelmeers von Marokko bis Ägypten werden. Im Großraum Tunis entstand schon 1872 die heute elektrische Vorortbahn TGM vom Stadtkern über Sidi Bou Said nach La Marsa.
Ab 1892/1897 begann der Bau zweier unabhängiger Meterspurnetze im Südwesten (Kalaa Khasba) und Süden (Sfax-Gafsa) zum Transport von phosphathaltigem Gestein aus dem Landesinneren zu den Verladehäfen am Mittelmeer.
Ab Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde das Normalspurnetz erweitert und 1911 zwischen Sousse und Sfax die Lücke zwischen den beiden Meterspurnetzen geschlossen. Ihre Ausstattung wurde erst in den 1960er Jahren vereinheitlicht. Seit 1916 ging es Richtung Libyen bis Gabes. Mit dem Wandel in der Agrar- und Rohstoffwirtschaft verloren seit den 1960er Jahren einige Schmalspurstrecken ihren Betrieb bzw. verschwanden (Cap Bon, Südwesten), dagegen kam die direkte Strecke Gabes-Gafsa für den Phosphattransport zum Phosphorsäurewerke ICM in Gabes in den 1970er Jahren neu dazu. Elektrische Stadtbahnbetriebe auf Schmalspurgleisen entwickelten sich seit den 1980er Jahren östlich von Tunis und im Sahel von Sousse (Sousse-Monastir-Mahdia). Besonders stolz sind die Tunesier auf ihre neue Straßenbahn ("Metro leger", gebaut von Siemens), die seit 1985 mit Hannoveraner Wagen den Hauptbahnhof von Tunis mit den Stadtteilen verbindet und kontinuierlich ausgebaut wird.
Die heutige Rolle der Eisenbahn in Tunesien nach oben
Im Personenverkehr fahren die Züge sternförmig von Tunis aus. Je nach Strecke und Fahrtziel gibt es zwei bis zehn Zugpaare pro Tag, der Abschnitt Tunis-Sousse wird als die schnellste Schmalspurbahn der Welt bezeichnet. In einigen Ballungsräumen bietet die Staatsbahn SNCFT einen S-Bahn-ähnlichen Verkehr an. Außerhalb der Küstenachse ist allerdings die Rolle der Eisenbahn weniger bedeutend. Mit dem arabischen Frühling besinnt sich die Staatsbahn auf ihre Aufgabe zur Förderung der Mobilität auch in den bisher benachteiligten Steppen-Regionen des Westens. Neue Züge nach El Kef und auf der nach Kalaa Khasba weiterführenden Strecke sowie Wiederaufbaupläne in Richtung Kasserine weisen darauf hin.
Im Güterverkehr erbrachte das Phosphat über die Hälfte der Einnahmen, diese Exporte sind jedoch nach der arabischen Revolution zurückgegangen. Der Güterverkehr ist für die Wirtschaft nach wie vor wesentlich, insbesondere in den Containerverkehr muß noch mehr investiert werden.
Als Touristenattraktion verkehrt im Südwesten mehrmals wöchentlich oder auf Bestellung der Sonderzug "Lezard Rouge" durch die wildromantische Selja-Schlucht im Sahara-Atlas. Dieser Zug wird mit den renovierten und auf Meterspur umgebauten Wagen des früheren Hofzugs des Beys von Tunis gefahren.
Das detaillierte Programm und der Ablauf der Fachexkursion. nach oben