Horb a. Neckar, 22. November 1986

Resolution der 4. Horber Schienen-Tage

Reform der deutschen Bahnpolitik

Ein Mahnruf an Politik, Verwaltung und Verkehrsunternehmen zu einer weiterer Reform der deutschen Bahnpolitik.

Ein für mehrere Hunderte von Milliarden erbautes Straßennetz von 500 000 km hat eine gigantische Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs ermöglicht. Wir haben aber auch in drei Jahrzehnten 500 000 Verkehrstote, Millionen von Verletzten und drastische Einschränkungen der Lebensqualität durch Landschaftsverbrauch, Lärm, Millionen Tonnen jährlich ausgestoßener Schadstoffe sowie chaotische Verkehrsbehinderungen hinnehmen müssen.

Für mehr Straßen und Autos ist kein Platz.

Bleifreies Benzin und Katalysatoren allein bei Benzinpreisen weit unter internationalem Niveau, kostenfreiem Parken auf öffentlicher Verkehrsfläche sowie Werbungskostenprivilegien für autofahrende Berufspendler können aber die wachsenden Schäden durch die hemmungslose Ausbreitung des Autoverkehrs nicht verhindern.

Ein höherer Anteil öffentlichen Verkehrs, und hierbei vor allem des umweltfreundlichen Verkehrssystems Eisenbahn, hätte hier entscheidend helfen können.In das Bahnnetz außerhalb der großen Hauptstrecken wurde jedoch in den letzten 35 Jahren fast nichts investiert. Bis auf wenige Hauptstrecken ist es hoffnungslos veraltet. Nebenstrecken wurden weder rationalisiert noch auf zeitgemäße Reisegeschwindigkeiten von 80 bis 100 km/h umgerüstet. Die viel zu langsamen Zuge wurden deshalb nicht mehr benutzt, die immer schlechter bedienten Strecken vom Bürger verlassen.

Trotz einzelner Schritte in die richtige Richtung - Schaffung attraktiver Hochgeschwindigkeitsverkehre sowie Vereinbarungen zwischen Bahn und Ländern über die befristete Erhaltung von Teilnetzen - bleibt die Verkehrspolitik in der Sackgasse.

Ohne ein zeitgemäßes Bahnsystem auch in der Fläche muß die Flut des Kraftverkehrs mit allen bekannten schädlichen Folgen und volkswirtschaftlichen Verlusten weiter wachsen.

Hier kann nur ein völliges Umdenken in der Investitionspolitik helfen. Schon zu viele Bahnstrecken wurden inzwischen teilweise, zeitweise oder gänzlich stillgelegt. Darunter befinden sich solche, auf denen man heutzutage Verkehre doppelt so schnell wie der Bus durch Rationalisierung und Umrüstung hätte schaffen und bei Stundentakt nebst komfortablem Rollmaterial ein Mehrfaches der heutigen Fahrgäste hätte halten können. Ein Blick ins benachbarte Ausland beweist dies.

Ein Ausweg aus dieser Sackgasse kann nicht eine umfassende Angebotsumstellung des öffentlichen Verkehrs auf Busbedienung sein. Es müssen vielmehr neue Maßstäbe für Investitionen in das vorhandene Bahnnetz gesetzt werden. Die vielen Milliarden, die der Bahn als Zinszahlungen für ihre Schuldenlast von 35 Milliarden, in die man sie hineintreiben ließ, und die für betriebsfremde Lasten entzogen wurden, sollten jetzt wenigstens nachträglich in die bisher unterbliebene Modernisierung des Netzes gesteckt werden.

Nur so zeichnet sich eine Perspektive für eine umweltfreundliche Beseitigung der Verkehrsmisere in Deutschland ab. Finanziell erscheint dies machbar durch Umschichtungen im Verkehrshaushalt. "Akzentverschiebungen" genügen nicht.

Die zentrale Forderung ist deshalb:

Ein Gesamtprogramm zu Rehabilitation des Bahnnetzes muß schleunigst aufgestellt und unter Aufhebung des "Plafonds'" für die der Bahn zur Verfügung zu stellenden Mittel schrittweise der Bahn zur Realisierung aufgetragen werden.

Ein Pilotprojekt als Sofortprogramm sollte die Richtigkeit dieser Reform der Bahnpolitik testen und beweisen.

Alternative:

Bei Fortsetzung der bisherigen Politik ist die Verfremdung des für einheitliche und zugleich umweltfreundliche Lebensverhältnisse unverzichtbaren Verkehrssystems Eisenbahn zu einem Konkurrenzunternehmen gegen innerdeutschen Luftverkehr zu erwarten. Die zur Zeit in Durchführung begriffene Umstellung der öffentlichen Verkehrsbedienung im ganzen Land außerhalb weniger Hauptstrecken auf Busverkehr, der im allgemeinen halb so schnell wie die Schiene ist, benachteiligt die Regionen außerhalb der Ballungszentren, schwächt ihre Struktur und stört jede gesunde Raumordnung. Letztlich ist der Erstickungstod des hemmungslos weiter wachsenden und sich selbst behindernden Kraftverkehrs in unserem dicht besiedelten Industrieland sowie ein Übermaß an Umweltzerstörung und wirtschaftlichen Verlusten durch Unfallfolgen zu erwarten.

Eine andere Alternative ist nicht zu erkennen.

 

Die obenstehenden Kernforderungen wurden als Resolution der 4. Horber Schienen-Tage an die Presse verteilt. Die Langfassung des ersten Horber Manifestes kann hier nachgelesen werden.


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